+++ 18.08.2022 +++  (Projektbericht und Fachartikel)

Die "Konsolidierung" unserer IBM-PC-Sammlung ist ja bereits seit Längerem abgeschlossen. Damit haben wir aus vielen PC-XT-AT und diversen Monitoren und Tastaturen einen lauffähigen Fundus erstellt, der nun im Regal auf den Einsatz wartet....

IBM PC "3270" ?

Dabei gab zunächst ein System "3270/XT" Rätsel auf. Das Schild vorne mit dieser Typenbezeichnung passte so gar nicht zu dem Gehäuse eines IBM-XT oder -AT, zumal auf der Rückseite dasselbe Typenschild "5271" stand. Die Recherche ergab, dass ein normaler XT mit vollgestopft mit Controllerkarten für das Großrechnersystem von IBM ausgestattet war, sodass der Rechner sowohl als autarker PC als auch als Terminal für /360- & /370-Systeme verwendet werden konnte. Entsprechend sind auf der Rückseite einige besondere Ausgänge zu sehen:

  • ein Ausgang mit BNC-Stecker für IBM-Koax-Kabel. (das hielten wir zunächst für 10MBit Ethernet).
  • Eine spezielle Grafikkarte akzeptiert den grüne Klassiker 5151, aber auch den spezielle 3270 Farb-Monitor 5272.
  • statt der 84-Tasten PC-Tastatur wird eine mainframe Tastatur mit 122 Tasten (davon 24 F-Tasten / Typ M122) angesteckt. Diese kommt in einen speziellen Keyboardcontroller, und wird weiter in den normalen XT-Tastatureingang durchgeschleift (das originale Verbindungskabel tauchte pünktlich auf, *nachdem* ein Ersatz gelötet wurde).

Die ganze Zusatzhardware erwacht dann erst zum Leben, wenn von das spezielle "3270 Control Program 2.1" gebootet wird.

Ansonsten verhält sich der 3270/XT wie ein ganz normaler PC ... bei dem allerdings kein ISA-Slot mehr frei ist.

IBM 3270 Inv326 7b Custom

IBM PC 5271 3270 Inv.Nr. 303 16 Custom

IBM 3270 5271 Rückseite 3 Custom  IBM PC 5271 3270 Inv.Nr. 303 innen 13 Custom

---  IBM 3270 ---

Historisch interessant ist, dass sich IBM ein Terminal mit ca. 30.000 $ vergüten ließ, aber einen XT für ca. 6000 $ anbot. Trotz Zusatzkarte 3270 lohnte sich daher für die Firmen finanziell der Umstieg auf dieses Terminal mit den zwei Gesichtern. Man konnte bereits erste PC-Programme lokal anwenden und trotzdem auf den Großrechner zugreifen. So war es z.B. möglich, aus der zentralen Datenbank von IBM mit den Stücklisten einen Auszug von Datensätzen zu ziehen und im PC mit Tabellenkalkulationsprogramm zu neuen Analysetabellen auszuwerten und Diagramme einfach zu erstellen. Dann brauchte man keinen Operator des Firmen-Rechenzentrums, der nie Zeit hatte und intern bezahlt werden musste, oder lange Schulungen von Mitarbeitern. Mitte der 1980er Jahre war das System auf dem Höhepunkt der Verkaufszahlen, aber für Terminals gab es bereits großen Wettbewerb anderer Hersteller sowie auch Konverter, der auf Ethernet, serielle Schnittstelle o.ä. umwandeln konnte. Die Zeitschrift Computerworld war 1985 voll von Werbung und Artikeln mit Ankündigungen. Überhaupt ging der Trend dann in Richtung PC und Workstation (siehe in der Computerworld Seite 104)

Mehr IBM, mehr 3270

Weitere Durchsicht unserer Regale ergaben reichliche Funde an IBM-Ausstattung, zum Teil auch geerbt aus den aufgelösten Lagern des GWDG-Rechnermuseums.
Ins Auge sprang vor allem ein 3278 Terminal , aber insgesamt vier Terminals mit unverständlichen Coax-BNC Kabel wurden gefunden, ausserdem einige übergroße IBM-Tastaturen mit 24 F-Tasten und unbekannten Steckern.

IBM System370 im Regal SNY2255 Custom
 
IBM ist ja nun mal der wichtigste Computerhersteller überhaupt ... und lauffähige IBM-Anlagen in Computersammlungen sind eine Seltenheit.
Mit dieser Motivation gelang es, verschiedene Terminals, Tastaturen, Netzwerkkomponenten zuzuordnen, zu reparieren und gemeinsam lauffähig zu machen.
 

Proudly presenting: Drei Arbeitsplätze an einem VM/370 mainframe!

 Im Bild ...  (zur Vergrößerung: Grafik in neuem Tab öffnen / firefox > rechte Maustaste)
 
IBM System370 3komprimiert Custom 50 
 
.. und die logische Verschaltung. (zur Vergrößerung: Grafik in neuem Tab öffnen / firefox > rechte Maustaste)
 
 
IBM System370 aufbau 2 Custom
 
 

Der Terminalcontroller 3174

Das abgebildete Ensemble war leicht aufzubauen, nach dem einmal die zentrale Kompontene zugekauft wurde: Ein moderner Nachbau eines IBM 3174 Terminalcontrollers.
 
 
https://i.imgur.com/X3X7dgo.jpeg
https://deskthority.net/viewtopic.php?t=21558 Original-Terminalcontroller 3174 (links)
 
 
Im Unterschied zu anderen Herstellern lagern IBM mainframes viel Datenverarbeitung an intelligente "Channel-Controller" aus. Das sind separate Bauteile, die Platten, Bänder und eben auch große Mengen von Terminals betreuen und Daten vorverarbeitet mit der Zentraleinheit austauschen. Er ist bei den Typen 3174 B & D direkt angeschlossen an den Zentralrechner und adressiert bis zu 8 (control units) x 32 Devices =256 Terminals. Die Typen A & C nutzen bereits das SNA-Netzwerk als Informationsträger.
 
Die Arbeit mit 3270 Terminals ist ausserdem selten interaktiv, sondern "masken-basiert": Es wird nicht jeder einzelne Tastendruck und jedes Ausgabezeichen zwischen Zentralrechner und Terminal ausgetauscht,  sondern der Terminalcontroller überträgt Erfassungsformulare an diese Terminals, überwacht den User beim Ausfüllen derselben und überträgt nur den kompletten gepufferten Datensatz an die Zentralrechner. (Da hat der Befehl bzw. die Taste ENTER eine Buchstäbliche Bedeutung).  Das Protokoll ist sehr komplex, aber auch mächtig: Man kann z.B. Fenster (viewports) definieren und wechseln, die aus einem größeren "presentation space" das physischen Display füllen. Bediener und Programme können im Display scrolling oder Helligkeit steuern oder z.B. Tabellen aufbauen oder Felder gegen Eingabe schützen. Ein Zentralrechner /370 aus den 1970ern mit nur 16MB Speicher konnte dadurch bis zu 17.500 (!!!) Terminalplätze bedienen. (wikipedia  , wir gehen davon aus, dass diese Zahl unter Ausnutzung aller Netwerke [channel / remote], also im Direktanschluss über das Multiplexing der CU's [control units] sowie zusätzlich über DFÜ [Datenfernübertragung] per Telefon- oder sonsitge Leitungen mit weiteren CU's theoretisch möglich wäre.)  
 
Duch die 90 Ohm-Koax-Kabel darf ein Terminal bis zu 650 Meter vom Anschluss einer CU entfernt stehen (wikipedia behauptet, dass es schon mal bis 1,5 km funktionieren könnte). Übertragungsrate 14.000 bis 650.000 Zeichen/Sek bei 1µs pro Bit (siehe IBM-3270_Maintenance_Handbook_Sep80-1_S229-7037-4-Seite 1-29 ff), je nach Auslastung des Channels, sowie Antwortzeiten unter 1 Sekunde bis mittlere Auslastung mit Terminalanfragen. (Bitte beachten: Nicht die Anzahl der Terminals sondern die kurze Zeit der Übertragung von Blocks aus den Buffern der Terminals bestimmen die Belastung, wie heute bei vielenLAN-Verfahren.) Das ist ein Quantensprung genüber der damals üblichen seriellen RS232 Kommunikation (typisch 9600 Baud über 100m).
 
Aber natürlich hätte man für den Preis eines einzigen 3174 auch schon eine DEC PDP-11 kaufen können...
 
Großer Dank geht an Andrew Kay, der einen 3174 zweiteilig nachgebaut hat:
  • eine kleine Hardware wandelt die 3270-koaxial Signale in USB um. * (siehe Bild oben "3270" Rückseite)
  • und eine Python software implementiert die 3714 Logik.

Dank freundlicher Unterstützung war obiger Aufbau schnell zusammengesteckt.

* Der Ausgang ist zwar USB, aber ein kleines Elektronikkästchen wandelt das IBM-eigene Signal um und schickt es über Koaxkabel zu den Terminals. Wie schon anno dunnemal (Anfang bis Mitte der 1970er Jahre) konnten mehrere Benutzer auf den Großrechner zugreifen, wobei ein Multiplexer 3299 die Verteilung der Zugriffe steuerte. Das kleine Gerät in Größe einer dicken Bibel ist im Übersichtsbild links unten, am Boden bei der Mehrfachsteckerleiste, zu sehen.
 
CUT oder DFT? (Control Unit Terminal / Distributed Function Terminal)
Die Steuerung der Eingabemasken auf 3270 Terminals wurde zuerst vom 3174 Terminalcontroller über das "CUT" -Protokoll erledigt. Per Microcode konnte der 3174 programmiert bzw. die Kommunikation mit den Endgeräten angepasst werden. Spätere intelligente Terminals erledigen das eigenständig; der 3174 reicht den Datenstrom vom Server durch. Das nennt sich dann DFT-Protokoll.
 

TN3270 Protokoll und Emulationen

Einige Terminal-Emulatoren für Windows oder Linux bieten auch ein 3270 an, zum Beispiel CryptoTerm . Diese Terminals können dann über das erweiterte telnet Protokoll TN3270 ebenfalls an einen simulierten 370 angeschlossen werden, parallel zum 3174. TN3270 ist gegenüber Telnet u.a. um Datenblock-Übertragung erweitert.
 

IBM System 370 auf "Hercules"

Einen lauffähigen originalen /370 Mainframe haben wir natürlich nicht in unserer Sammlung. Aber es gibt ja noch Emulatorprogramme: Hercules. Das Notebook, welches schon den 3174-Nachbau bediente, wurde mit einer fertigen Emulation eines Großrechner /370 mit virtuellem Betriebssystem VM370 darstellt. Faulerweise haben wir uns mit dem VM370 Aufbau gar nicht beschäftigt, sondern eine fertige Installation als Docker-Container runtergeladen ... die Info Seite auf hub.docker.com Docker-Quelle gibt dann auch eingerichtete Usernamen und Passwörter.
 
Sofort zeigten die Terminals und der 3270/XT das "VM370 SixPack" Logo und den Login-Schirm  des simulierten Mainframes ... ein 15 Jahre alter Traum erfüllte sich!
 
Jetzt steht das Einlesen in die 370-Bedienung steht noch aus. Es soll einen "Survival Guide" geben, oder man beißt sich durch die IBM-Doku.
 
 
 
Yves Tessier:  Ordinateurs centraux IBM 370 au pavillon Jean-Charles-Bonenfant : console, périphériques   IBM 3270 SNY2242a notebook
 
 Photo © : Yves Tessier / wikimedia.org                                                   Notebook als VM/370 emulator
 
 
Die /370 war noch ein echter Mainframe, der mit Batterien von Bandlaufwerken, Plattenlaufwerken, Druckern etc. große Räume ausfüllte.
"Das System/370 war eine evolutionäre Weiterentwicklung des System/360 und wurde im Sommer 1970 von IBM angekündigt. Das System/370 war der Vorgänger der System/390 und zu den heute meist eingesetzten Rechnern der System z-Architektur.
Wichtigste Neuerung war die Data Address Translation. Als Betriebssystem konnten neben dem OS/360 der S/360 auch die ersten Betriebssysteme mit Virtualisierung VM/370, MVS und DOS/VS verwendet werden.

Als Speichermedien gelangten Magnetbänder und Festplatten zum Einsatz, wobei die verbreitetsten zunächst der Typ 3330 mit ca 100 MB, danach der Typ 3350 mit etwas mehr als 300 MB und schließlich der Typ 3380 mit etwa 600 MB (Modelle A, B, D, E und J) bis 1,8 GB (Modell K) waren. Ab 1974 wurde auch das Massenspeichersubsystem IBM 3850 unterstützt.

  • Model 165 (1970) (IBM 3165 processing unit @ 500 Kflops) 512 ... 3072 Kbytes RAM (Kernspeicher)
  • Model 168 (1972) (IBM 3168 processing unit) @ 3,12 Mflops) 1024 ... 8192 Kbytes Arbeitsspeicher
  • Model 168-3 (1976) (IBM 3168-3 processing unit) @ 3,12 Mflops) 1024 ... 8192 Kbytes Arbeitsspeicher

"  Quelle: academic.com siehe auch https://de.wikipedia.org/wiki/System/370

 Selbstverständlich gab es noch keine Heimcomputer, so dass Computer damals außerhalb der Erfahrung von gewöhnlichen Menschen lag und nur etwas für Spezialisten war, studierte Mathematiker ("Informatiker" gab es auch noch nicht!), Physiker oder Ingenieure, die fortgebildet wurden in Technik und Programmierung. (Ich selbst habe erst im 5. Semester, 1977, "Programmieren im Maschinenbau" als Labor ablegen können. Dazu hielt die Technische Universität Braunschweig einen Zugang zur ICL-Großrechenanlage bereit: über Lochkarten, die für 10 DM (=1000 Stück, die ich heute noch fast alle habe,) gekauft und auf der Galerie des Altgebäudes gestanzt werden mussten (IBM 29). ALGOL war die Programmiersprache, und der Lärm auf der Empore des Altgebäudes war heftig und hallte durch das riesige Treppenhaus.


 BOSCH /370 Photo  © BOSCH Germany (Rechenzentrum Feuerbach)

Die Anwendungen ergaben sich aus der Unternehmensverwaltung, wie sie vorher per Lochkartensysteme rationalisiert wurde. Sowohl nach außen (Kundenbuchhaltung) als auch nach innen (Lohnbuchhaltung, Lagerverwaltung, Produktionssteuerung) nahm die "Digitalisierung" ihren weiteren Lauf. Schon damals erkannte man die Bedeutung auch der Betriebsdatenerfassung (BDE), denn ein schneller Rechner benötigt entsprechend schnelle Eingaben und Ausgaben. Im ersten Schritt kombinierte man die schriftlichen Dokumente mit maschinenlesbaren Flächen (Mark-Sense, OCR, Magnetkontenkarte,...). Außerdem ergaben sich die ersten Datenbanken. Allerdings musste man ohne Plattenlaufwerke, also nur mit Magnetbandtechnik, umständlich abends - nein , nicht nur sichern - in Sequenz umsortieren: Die Buchungen des Tages waren einfach aufs Band sequentiell geschrieben worden. Aus den Bändern des Journals wurden dann neue Bänder mit den sortieren Datensätzen erstellt, z.B. nach Kundennummer und Buchungsdatum.GX20-1926-1_

Einen Einblick in die damalige Zeit bieten natürlich Fachzeitschriften und -bücher. Da kommt es gelegen, wenn im Netz doch noch ein paar Berichte veröffentlicht werden. Hier sei auf die Firma BOSCH verwiesen, die zu loben ist, dass man stolz auf die alten Zeiten zurückblickt.

"Am 30. Juni 1970 stellte IBM seine neuen Großrechner-Modelle – im Fachjargon auch Mainframes genannt – auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vor. Der IBM-Vorstandsvorsitzende Thomas J. Watson verwies auf die stetig wachsenden Anforderungen der elektronischen Datenverarbeitung der 1970er Jahre und präsentierte als Antwort die neu entwickelte Systemreihe 370 mit „erheblich gesteigerter Leistung und Speicherkapazität“ Bitte hier weiterlesen.

 

 

 

Originalquellen von IBM:

3270-System

Architecture of the IBM 370 System
IBM 3274 Planning, Setup, And Customizing Manual_GA27-2827-6
IBM_An_Introduction_to_the_IBM_3270_Information_Display_System_May71_GA27-2739-1
IBM_VM_370_Quick_Guide_For_Users__Rel_1_Apr73_GX20-1926-1
IBM-370_System_Summary_Dec75_GA22-7001-4
IBM-3270_Data_Stream_Programmers_Reference_Dec88_GA23-0059-4
IBM-3270_Maintenance_Handbook_Sep80-1_S229-7037-4
IBM3270-3274_Control_Unit_Description_and_Programmers_Guide_Jan84_GA23-0061-1

 

 3270-PC (5172-XT Personal Computer as Terminal)

3270@PC-emulation-card_Operation Manual_GA27 -3913-00
3270@PC-emulation-PCI-Adapter_Users-Guide Manual_GA27-3913-00
IBM-Keyboard_M122-type-variants
3270-PC_Hardware User's Manual_GA23-0249-1
3270-PC_Maintenance Manual_SY27-2567-2