+++ 09.04.2024 +++
KI oder nur I: Philosophie des Denkens durch neuronale Prozesse
Abhandlung / Jens Kirchhoff / Braunschweig, Göttingen / 1991
Vorwort (10.März 2024):
Mit der künstlichen Intelligenz hält ein Aggregat Einzug in unseren Alltag, der verblüffende Eigenschaften aufweist und sogar „Intelligenz“ zuschreibt. Zunächst wäre klarzustellen, dass diese neuronalen Netzwerk-Imitationen entweder „intelligent sind“, dann ist unser Gehirn es auch. Oder aber, dass es sich um Zwangsabläufe handelt, womit unser menschliches neuronales Netzwerk als Überlebensmaschine auch nur ein „Computer ist“. Schon 1991 philosophierte ich über das Gehirn und präsentiere nun eine Kopie im Internet, nachdem man z.B. versucht, durch Lokalisierung von Nervenreizen und neuronalen Gebieten im Gehirn dem Rätsel dieser „Denkmaschine“ näher zu kommen.
PS: Diese Woche (April 2024) lese ich in den NTV-Nachrichten, dass der angebliche vollautomatische Einkaufs ohne Kasse -über Kameras- nicht durch Algorithmen sondern durch indische Mitarbeiter in Fernsteuerung erledigt wurde und für die KI-Lernprozeduren massenhaft indische Mitarbeiter bezahlt werden. (z.B. Verschlagwortung der Bildinhalte; was sieht man darauf?).
1. Ich denke, also bin ich ?
Seit einigen Jahren gibt es die Begriffe "künstliche Intelligenz", "neuronale Netze", "fuzzy logic" und "lernfähige Systeme". Gleichzeitig wird intensiv am menschlichen Gehirn bzw. an neuro-nalen Funktionen unterschiedlichster Teilbereiche des Nervensystems geforscht. Ziel ist das Verstehen des Vorganges, den wir Denken nennen, und die vielfältige Nutzung dieser Erkenntnisse in der Medizin sowie vor allem in der Informationsverarbeitungstechnik.
Beide Methoden, sich den Hirnfunktionen zu nähern, sind zur Zeit in einem Anfangsstadium: Die EDV-Konzepte zu den oben genannten Themen bieten sehr eingeschränkte Fähigkeiten und wirken damit stets hölzern und unecht gegenüber der Vielfalt menschlicher Möglichkeiten. Die Forschung ist über die Nervenzelle, kleinste Zell-Funktionsgruppen primitiver Organismen und globale Hirnbereiche noch nicht erfolgreich hinausgekommen.
Wenn sich ein Zeitgenosse die rasannte Entwicklung der EDV von Röhre und Magnetkernspeicher zu den Chips und der leistungsfähigen Software von heute betrachtet, so entsteht schnell der Eindruck, es sei nur eine Frage der Zeit, bis es den vollautomatischen, elektronischen Menschen gibt. In hervorragender Qualität existiert er ja bereits in der Illusion der Kinofilme. Die dort gezeigten Roboter sind so echt, daß von ihnen sogar starke Gefühle gezeigt werden.
Da wir nun ein sehr übergreifendes Wissen aus Medizin, Informatik, Elektronik, Religion, Geschichte und Philosophie von uns verstärkt vorraussetzen können, und uns die Zusammenhänge großer Systeme (Politik, Wirtschaft, Biologie, Geografie ..) immer umfassender aufgehen, stellen sich aus dieser technischen Aufklärung eine Fülle von neuen Fragen. Sie münden ein in uralte Grundsatzfragen philosophischer Natur:
Was ist eigentlich Denken? Was ist Intelligenz?
Unterscheidet Sie sich bei Mensch, Tier und Maschine? Ist der perfekt dem Menschen nachgebaute Apparat - der Roboter nach Kinoart - ein Mensch, ein Pseudomensch, eine Maschine? Ist der Mensch etwa eine Maschine? Hofstadter /xx/ schreibt von einer Überlebensmaschine Mensch. Stellt sich die Frage überhaupt? Turing /xx/ hat doch gezeigt, daß ein Rechner mich durch entsprechend programmiertes Verhalten täuschen und mit mir einen scheinbar menschlichen Dialog führen kann. Wenn ein Programm intelligent und phantasievoll in einem leistungsfähigen Gerät arbeitet, ist es dann ein Gehirn?
Bin ich, weil ich denke bzw. fühle? Was ist Erkenntnis oder Warheit für Programme? Wo ist mein Bewußtsein, wenn ich eine Maschine bin oder wie eine solche funktioniere? Und wenn ich "maschinell bewußt handle", wo ist mein Wille? Und wer ist Gott, wenn ich mich als Maschine empfinde? Braucht eine Maschine einen Gott?
In den nun folgenden Ausführungen werde ich versuchen, auf die philosophischen Fragen bereits Antworten zu finden, obwohl die Grundlagen hierfür noch gar nicht vorhanden sind. Dies gelingt mittels eines sehr einfachen, aber wirkungsvollen Modells zur Erklärung der kognitiven Fähigkeiten des Gehirns. Die Stärke dieses Modells liegt in dem bewußten Beiseiteschieben des drängenden Interesses, wie denn genau das Gehirn funktioniert. Stellen wir uns doch mal ganz dumm.
2. Das Netz
Wir alle haben eine gewisse Vorstellung von der Nervenzelle. Es gibt einen Zellkern, eine Energieversorgung und viele Nervenfasern, die aus ihr herausragen. Diese Fasern leiten elektrische Reize zu den Endknöpfchen, den Synapsen. Von den Synapsen weiß man, daß sie eine Sperr- und überbrückungsfunktion haben. Durch biochemische Prozesse kann an diesem Endknöpfchen zu der angeschlossenen Faser einer anderen Nervenzelle eine elektrische Verbindung hergestellt werden. Es entsteht hier leicht der Eindruck, die Synapse wäre so etwas wie ein Schalter in der Elektronik, ein biologischer Transistor. Diese Vorstellung lehne ich erst einmal ab, so lange man von den Signalen auf der Leitung noch so wenig weiß:
Die Elektronik hat so viele Möglichkeiten der Signaldarstellung, daß es sehr schwierig werden kann, das Signal und seine Funktion zu entschlüsseln. Dementsprechend schwierig ist auch die Erklärung für die Funktion jedes einzelnen Bauteiles für das Ganze. Was bedeutet schon der einzelne Transistor oder ein Bit in einem digitalen CD-Spieler? Durch die Pulse-Code-Modulation wird dort etwas verarbeitet, was analog war: die dem Schalldruck am Mikrofon in etwa proportionale, elektrische Spannung.
Selbst wenn also die Synapse in etwa digitale Funktion hat, ist noch lange nicht ausgeschlossen, daß sie der Verarbeitung eines anlalogen Signals dient. Vielleicht sind die Vorgänge bei dem angeblichen Durchschalten mittels des Transmitterstoffes aber von noch ganz anderer Bedeutung. Vielleicht sind Synapsen spezielle Filter, die Signale deformieren, verzögern, glätten, in bestimmten Frequenzen verstärken?
Die Forscher erklären, daß es hemmende und stimulierende Wirkungen für neuronale Signale gibt. Bei kleinen und sehr einfachen Netzen von Nervenzellen gibt es auch schon Funktionspläne für ausgesuchte Reizmuster. Neben den Reizmustern (Muster von Ein-gangssignalen), die sinnvolle (reproduzierbare) Reaktionen (Aus-gangssignalmuster) zum Beispiel an Muskelfasern hervorrufen, gibt es auch chaotisches Verhalten bei anderen Reizen. (siehe Spektrum der Wissenschaften /xx/)
Es ist bekannt, daß die Nervenfasern sehr lang sein können. Vielleicht gibt es auch bei Nerven kritische Leitungslängen für Signale wie bei Computerchips. Im Folgenden gehe ich aber einfach mal davon aus, daß lange Nervenfasern sich bezüglich ihres Signalverhaltens nicht von kurzen unterscheiden.
Unser Nervensystem ist ein riesiges Netz von Nervenbahnen, die über Synapsen verknüpft sind und ganz allgemein Reize weiterleiten und verarbeiten. Ein Reiz kann übergehen in eine angeschlossene Nervenfaser oder in einem motorischen Reflex verschwinden (z.B: Drüsen, Muskeln). Ein Reiz kann entstehen durch Sensoren. Sie nehmen physikalische Effekte, für die wir von der Natur mit einem Sinn ausgestattet werden sollten, auf und wandeln Sie in Signale des Nervensystems um. Wie das alles im Einzelnen abläuft ist wohl noch weitgehend unbekannt - jedenfalls habe ich noch nichts lesen können, das mir ein einigermaßen schlüssiges Konzept für das Denken als Folge neuronaler Funktion geben konnte.
Wie gesagt, stellen wir uns doch mal ganz dumm:
Man stelle sich mal ein Netz von Leitungen vor, die dazu dienen, Signale zu übertragen. Dabei ist es völlig unerheblich, welcher physikalischen Natur diese Signale sind. Dieses Netz hat Verbindungsstellen an nicht näher bekannten Stellen. Diese Verbindungsstellen können aber auch Verzweigungen sein, wo mehrere Leitungen zusammentreffen. Wir nennen sie Knoten. An den Knoten - und zwar nur dort - dürfen Reize in das Netz eingespeist werden. Der Reiz kann Werte zwischen "unerheblich" und "übersteuert" stufenlos annehmen.
Dieser "Pegel" ist rein modellhaft und soll mit Elektrizität nur in sofern etwas zu tun haben, als man dort sehr anschauliche Analogien zu der Funktion unseres Netzes findet.
Die Signalleitungen haben alle unterschiedliches Dämpfungsverhalten in wieder rein modellhaftem Sinne. Es soll wieder stufenlose Dämpfungsgrade geben. Und wir sprechen von stärkeren und schwächeren Leitungen. Ein an einem Knoten eingebrachtes Signal, wird auf einer starken Leitung wenig gedämpft. An einem durch diese starke Leitung angeschlossenen weiteren Koten wird das ursprüngliche Signal also mit einem relativ hohen "Pegel" vertreten sein und sich dort gegen andere Signale an diesem Knoten wahrscheinlich durchsetzen.
In einem großen Netz mit sehr vielen Leitungen, Knoten und Reizen sind ständig Signale unterwegs, die sich an Knoten mit anderen Signalen überlagern. Die Signale laufen asynchron, sind also zeitlich unabhängig voneinander. In jedem Knoten soll etwas wie eine Pegeladdition stattfinden. Wenn sich zu "gleicher Zeit" die Pegel der angeschlossenen Leitungen auf einen hohen Wert aufsummieren, ist dieser Knoten stimuliert. Diese Stimulation kann auf andere Knoten umso erfolgreicher übertragen werden, je stärker die Verbindungsleitung(- en) ausfallen. Es kann natürlich auch mehrere Leitungen zwischen denselben Knoten (mit unterschiedlichen Dämpfungen) geben. Das soll sogar die Regel sein. Umgekehrt soll es auch eine Pegelsubtraktion geben. Der hohe Pegel einer Leitung soll - nach entsprechender Dämpfung der Leitung (Prinzip siehe oben) - hemmende Wirkung auf den Ausgangsknoten haben bzw. invers zur Stimulation wirken. Auch die Begriffe Addition und Subtraktion sind modellhaft. Damit ist gemeint, daß der Pegel eines Knotens - auf welche Art auch immer - durch das Signal größer bzw. kleiner wird.
Das Ganze mutet wie eine superkomplexes Netz von beliebigen elektrischen Widerständen an, in das an beliebigen Knoten beliebige Spannungspegel zu beliebigen Zeiten eingebracht werden. Diese Analogie hilft tatsächlich sehr, muß aber mit den tatsächlichen Neuronalfunktionen nicht das Geringste zu tun haben.
Die Neuroinformatik beschreibt ziemlich genau das oben genannte Verhalten eines Schaltungsnetzes in mathematischen Formeln. Sie beschreibt aber auch eine weitere wesentliche Eigenschaft, nämlich die Dynamik eines solchen Netzes. Die Dämpfung jeder Leitung zwischen den verbundenen Knoten ist mit der Zeit veränderlich. Die Veränderung wird durch ständige Aktivierung des Netzes mit Sätzen von Eingangsreizdaten und einer Bewertung der aktuell sich ergebenden Ausgangssignalsätze bewirkt. Das Ganze entspricht einer Dressur, wobei die Abweichung des aktuellen Ausgangsdatensatzes (Ist-Handlung) zum Sollsatz (Soll-Handlung) zur Berechnung der Teilbeiträge jeder Signalleitung zum Gesamt(miß)erfolg bzw. zum richtigen (falschen) Ergebnis herangezogen wird.
Ist an einer Ausgansleitung zum Beispiel ein vom Soll abweichender Pegel aufgetreten, müssen alle dort angeschlossenen Leitungen sowie auch die vorgelagerten, durch Knoten weiterverzweigten Verbindungen entsprechend dem Abweichungsbetrag gedämpft bzw. stimuliert werden, damit ein ähnliches Reizmuster beim nächsten Versuch mehr der Soll-Handlung entspricht. Die Neuroinformatiker sprechen nicht von Dressur, sondern vom Programmieren des Netzes, weil die Dressur zu einem Zustand konvergieren soll, in dem das Netz das gewünschte Verhalten zeigt - am Ende wird also mit dem Netz ein statischer Programmstand eingefroren. Neuronales Lernen gilt als weitere Bezeichnung für die oben beschriebene Prägung eines Netzes durch Versuch und Irrtum.
Wenn schon neuronales Lernen ein Anpassungsprozeß an einen (oben statischen) Zustand ist, so liegt es nahe, sich neuronale Netze als Adaptivsystem vorzustellen. Auch wenn sich also die Werte im Sollausgangsdatensatz ständig ändern, paßt sich das Netz mit der Zeit an. Denken wir einmal an unsere Anpassungsfähigkeit (des Menschen) im Denken und Handeln - der Dressur des Lebens unter sich ständig ändernden Umständen - fällt uns die Vorstellung eines Netzwerkes als komplexer Regler nicht schwer.
Und mit fuzzy-logic (unscharfe logik) sind bereits Erfolge in der EDV- Technik vorhanden, mittels einer "stufenlosen Logik" (stufenlos zwischen zwei Symbolen - hier meist Null und Eins -, die für die bivalenten Aussagen "wahr" und "unwahr" stehen) Regelwerke mit vielen abhängigen Eingangs- und Ausgangsgrößen zu einem differenzierten Verhalten des Gesamtsystems zu bewegen. So kann zum Beispiel ein verfahrenstechnischer Prozess "intelligent" gesteuert werden, weil zu einem Satz analoger (stufenloser) Eingangsdaten wie Druck, Temperatur, Strömungsgeschwindigkeit (siehe Sensoren oben) ein sinnvoller Satz von stufenlosen Ausgangsdaten wie Winkelstellung einer Drosselklappe, Motordrehzahl, Heizungsleistung (siehe motorische Reflexe oben) berechnet wird (siehe /xx/).
Noch wird fuzzy logic auf den uns bekannten "von Neumann"-Rechnern mit simulierenden Programmen aufgesetzt. Man hat aber bereits aufgezeigt, wie man elektronische Bausteine zur direkten Verarbeitung stufenloser Zustände konstruieren kann. Das Gesamtsystem einer fuzzy logic für eine abgegrenzte Aufgabe kann man sich als eine Regeleinrichtung vorstellen, wie wir sie aus der Mechanik oder Elektronik kennen. Allen ist zunächst gemeinsam, daß sie statisch sind und sich geänderten Bedingungen nicht oder nur für bestimmte Parameter anpassen.
Das Modell oben muß nun anhand der Erkenntnisse aus der Neuroinformatik und fuzzy logic erweitert werden:
Die Verbindungen zwischen den Knoten können ihr Leitungsverhalten dynamisch ändern. Dies geschieht durch neuronale Dressur. Wenn die Leitung oft bzw. stark gereizt wird, verstärkt und verfestigt sich diese Verbindung, wenn sie nicht oder nur schwach angeregt wird, verkümmert sie. Es kann sich jeweils um eine Leitung handeln, die auf den Empfängerknoten stimulierend oder aber auch hemmend wirkt. Wichtig ist, daß an den Endknoten unseres Netzes eine Pegelkonstellation auftritt, die das von ihm geregelte System "zum Erfolg" führt und in diesem Sinne eine "richtig angepaßte“ „Verdrahtung" entstanden ist.
Wenn wir nun jeder dieser stufenlos arbeitenden Verbindungen logische Zustände zuordnen, sind wir wieder bei fuzzy logic. Die Verbindung selbst hat den Charakter eines stufenlos arbeitenden, dynamischen Logikbausteins. Die Leiterbahn selbst beinhaltet die logische Verrechnung. Der Regler arbeitet dementsprechend schnell. Er arbeitet aber auch fehlerhaft, wobei Abweichungen zu den richtigen (dynamischen) Führungsgrößen auftreten, damit eine Anpassung (an sich verändernde Außenbedingungen) stattfinden kann.
3. Das Gewächs
Ausgehend von dem als begrenzt gedachten Netz soll das Modell erweitert werden zu einem "Gewächs" mit unvorstellbar vielen Knoten und Leitungen. Knoten, die stark angeregt werden durch häufige Befeuerung mit starken Pegeln, können neue Leitungen ausbilden, welche dann ziellos in die Umgebung wachsen. Es kann daraus eine neue Verbindung entstehen, wenn diese Leitung an einen benachbarten Knoten anwächst. Dies ist vom Zufall abhängig. In einem stark angeregten Bereich mit vielen befeuerten Knoten wächst die Wahrscheinlichkeit, daß neue Verbindungen wachsen.
Jede neue Verbindung ist zunächst so schwach ausgeprägt, daß sie im Netz keine Rolle spielt. Erst durch weitere Reizung kann die Verbindung nun auch so weit gestärkt werden, daß sie im Netz überhaupt als tätig in Erscheinung tritt.
Die Forschung hat dieses neuronale Wachstum z.B. bei den Sehnerven neugeborener Katzen /xx/ entdeckt. (Es geht mir aber nicht letztlich um den allumfassenden Beweis dieses Modells, sondern um plausible Erklärungen auf ganz anderer Ebene unter der einfachen Vorraussetzung, daß ich im Prinzip richtig liege.)
Darüber hinaus ist dieses Gewächs von unvorstellbar großer topo-logischer Komplexität. Jeder Knoten hat zu vielen seiner Nachbarknoten und eventuell auch zu entfernten Knoten - je nach Funktion dieses Teilbereiches des Netzes - Verbindungen. Eingeschlossen in diese Überlegung ist auch, daß neben einer Leitung zwischen genau zwei Knoten weitere Leitungen parallel hinzuwachsen können.
Damit ist die Bedeutung einer einzelnen Leitung für Teilfunktionen des Gewächses nicht mehr möglich. Jeder Versuch, etwas Abgegrenztes in dem Netz zu orten und damit eine Funktion eines abgeschlossenen Teilnetzes zu erklären, muß kläglich scheitern. Man stelle sich hierzu ein riesiges Netz von elektrischen Widerständen vor. Durch geschickte Blockbildung könne es vereinfacht und vage Aussagen über die Funktionen dort möglich werden. Bei entsprechender topologischer Komplexität ist aber gar nicht mehr entscheidbar, welche Widerstände nun einen Block bilden und damit als ein Widerstand gelten sollen. Wir können hunderte von Testanschlüssen an beliebigen Knoten anbringen und mit tausenden von Testläufen probieren, Durch die vielen noch verbliebenen Querverbindungen zu anderen Wiederständen mit undurchschaubaren Störeinflüssen verliert sich der Test in Rätselraten. Der Testanschluß wirkt wie ein Stich in einen Heuhaufen.
Natürlich wird umgekehrt auch angenomen, daß Verbindungen verkümmern müssen, wenn sie nicht regelmäßig benutzt werden. Die Verbindung wird schwächer und kann ganz absterben.
In unserem Gewächs findet also ein ständiges Absterben und Neuentstehen von Verbindungen, ein ständiges Stärken und Schwächen statt, je nach Training oder Dressur des gesteuerten Organismus.
4. Gehirn und Denken
Bis hier haben wir von einem Modell gesprochen, um nicht auf den Menschen als System fixiert zu sein. Später wird es nämlich um Intelligenz und andere Fähigkeiten gehen, die wir Menschen nur Menschen zuschreiben wollen. Und da ist es besonders interessant, Mensch und Maschinen gegenüberzustellen.In vielerlei Hinsicht wurde auf neurologische Forschungen am Gehirn hingewiesen. Hier sollen Analogien zur Sprache kommen, die unser Modell in seiner Gültigkeit für die Erklärung der menschlichen Gehirnfunktionen unterstützen sollen.
Ist nicht unser menschliches Denken Teil unseres Lebensprozesses, der plakativ in die Phasen
- Weiterentwickeln
- Bewahren
- Absterben
von Lebensstrukturen eingeordnet werden kann ? Was wir uns als Denken vorstellen, ist das nicht das Leben eines Gewächses "Gehirn", in dem Signalverbindungen ständig sich weiterentwickeln, sich bewahren oder absterben ? Wir erklären das als
- Neuentstehen
- Behalten
- Vergessen
- von gedanklichen Symbolen oder auch als
- Lernen
- Einprägen, Verfestigen
- Verlernen
von Verhaltensmustern. Die Dreiteilung ist natürlich willkürlich. Es handelt sich um stufenlos zwischen den Begriffen liegend verstandene Zustände bzw. Prozesse.
Gedanken sind das Reizgewitter in dem Gehirn, wobei die unterschiedlichen Dämpfungen der Stimulations- bzw. Hemmungsleitungen die Prioritäten bestimmen, mit denen ein Reiz zu einem gedanklichen Eindruck beiträgt. Dieser Eindruck wird zum Einen direkt verwertet zu einer motorischen Reaktion:
Die Sensoren - unsere Sinnesorgane - liefern die Reize und die Motoren - Drüsen, Muskeln - können angeregt werden. Auffallende Beispiele für diese direkten motorischen Reaktionen sind die meisten unbewußten Handlungen (Reflexe) vom Athmen bis zum Rot-Werden und unsere fundamentalen Erfahrungen mit dem Einüben motorischer Abläufe. Beim Erlernen eines Musikinstrumentes, eines Tanzes oder im Sport stellt man immer wieder das Gleiche fest: Vor allem die Wiederholung von Abläufen prägt. Langsames, zeitlupenartiges Vorgehen verfestigt ennorm. Menthales Training wirkt ebenfalls nachweisbar, in dem die richtige Haltung, das richtige Gefühl, das Ziel vorgedacht wird oder zum Beispiel die gewollten Abläufe immer wieder gedanklich durchgespielt werden.
Neben dem Erlernen oben erklärt unser Modell auch das Verlernen als Gehirnfunktion. Das Verkümmern unserer neuronalen Verbindungen erfolgt um so langsamer, je stärker etwas durch neuronale Lernprozesse verfestigt wurde. Nach Jahrzehnten einer intensiven, langen Einübung von Abläufen kann man ohne große Einbußen noch die alten Übungen "aus der Kiste holen". Mein Bach A-moll-Konzert spiele ich heute, zwanzig Jahre nach dem Erlernen, ohne Noten auf der Violine. Jeder von uns wird das Fahrradfahren oder Tennisspielen wohl auch nie verlernen. Das nur schwach Trainierte eines Schnell- oder Intensivkurses kann dagegen sehr schnell verkümmern, wenn es nicht ständig angewendet wird.
Neben den bisher behandelten motorischen Steuerungsfunktionen des Gehirns gibt es bekanntermaßen noch die kognitiven Fähigkeiten, bei denen es nicht um die Reaktionsfähigkeit geht sondern um Teilbereiche des Gehirns selbst. Ziel der Übung ist hier nicht das schnelle Handeln sondern das schnelle Verschalten von Symbolen, es sollen Symbolwerke wachsen (Neuronale Symbole werden später noch genau erklärt). Aktiviert werden nicht Motoren sondern unsere Gehirnzellen, die Knoten. Der Lerneffekt liegt offensichtlich bei den Synapsen, die den Dämpfungscharakter der Leitungen ausmachen, die an andere Synapsen anwachsen und verkümmern können.
Auch für kognitive Fähigkeiten gibt es analoge Beispiele zum Lernen und Verlernen. In das Langzeitgedächtnis wird Wissen nur sehr träge eingeprägt, dafür hält es länger. Entsprechend intensiv und anhaltend muß auch für die Speicherung in neuronale Netze geübt werden.
Das Sprechen ist eine besonders interessante Variante des hier allumfassend definierten Denkbegriffes. Einerseits sind sehr detaillierte, motorische Fähigkeiten zu beherrschen, andererseits sind Worte und Sätze Abbild unserer neuronalen Symbole, Bausteine kognitiver Funktionen, im Gehirn.
5. Neurologische Symbolwerke
Wenn das bisher vorgestellte Modell dieses neurologischen Gewächses, dieser Schwamm
- aus unvorstellbar vielen Signalleitungen und Knoten,
- unvorstellbar komplexen Verschaltungen bzw. entsprechend vielen synaptischen Verbindungen
- mit physischen Wachstumseigenschaften
- und stufenlosen Pegeln
- bei asynchroner Befeuerung der Knoten
stimmt, wo ist dann der Gedanke ? Wo ist ein Begriff, eine Zahl zum Beispiel ?
Abstraktes Denken bzw. die Vorgänge, bei denen wir mit unserem Gehirn Begriffe einordnen in ein System zur Erklärung unserer Erfahrungen ist durchaus mit dem Modell konform, wenn man von dem dualistischen Verständnis des "Begriffes" Abschied nimmt. Obwohl bereits weite Bereiche unserer Wissenschaften von ganzen Begriffskaskaden in Baum-, Ring- oder Netzstruktur durchsetzt sind, muß einfach in Frage gestellt werden, ob man nur unterscheidet zwischen der Feststellung, daß es dieses Etwas, was man mit dem Begriff bezeichnet hat, gibt oder - im Gegensatz dazu - nicht gibt.
An dieser Stelle behaupte ich, daß man nicht zu unterscheiden hat, ob es etwas gibt oder nicht, sondern wie stark es in uns wirkt. Der uralte Streit der Philosophen über die Frage, ob unsere Erkenntnis in uns (Gehirn, Geist, Seele) als Abbild der Realität nur existiert (Ontologie)- das wäre dann unsere individuelle Wirklichkeit -, oder ob die Realität nur existiert und unsere Erkenntnis ein Schattenbild (Projektion) ohne jede physische Grundlage sei, wird im Folgenden durch eine sehr plausible Erklärung aufgelöst. Beides ist nämlich im Prinzip richtig, aber auch das Schattenbild hat eine physische Grundlage.
Unser Gehirn wird ständig durchflutet von Gedanken. Bezogen auf das Modell muß es heißen: In dem Gewächs wütet ständig ein Reizgewitter. Welche Pegel an welchen Knoten herrschen, hängt von den Dämpfungen der Leitungen, den Reizpegeln an den Eingängen und den Verknüpfungen unter den Knoten ab. Der gedankliche Eindruck ist aber nicht in einem Knoten oder einem streng abgegrenztem Teilnetz vorhanden und daher auch nicht lokalisierbar. Das Symbol ist wirksam, in unserem Gehirn aktiv, als Gedanke vorhanden, wenn möglichst viele Knoten, die im Sinne dieses Symbols funktionieren, möglichst hohe Pegel aufweisen. Es müssen also entsprechend viele Reize von den periphären Schaltstellen gleichzeitig (!) in das Symbol (-teilnetz) eingehen. Diese örtlich und topologisch nicht abgrenzbare Teilnetz nenne ich „Symbolschwamm“ und damit wiederum verschaltete Symbole nenne ich „Symbolwerke“, damit der "Hardware"- charakter zum Ausdruck kommt. Symbol ist dagegen ein Reizzustand, ein Schwingungsmuster in unserem Gehirn. Ob diese Schwingungen physikalischen Ursprungs sind (Energie, Materie) oder transzendent, soll erst später untersucht werden.
Das bedeutet, daß die Zahl 5 nicht einfach binär den Zustand "aktiv" erhält, während vorher der Gedanke zur 5 inaktiv war, sondern daß sich in dem Teilnetz zu einem bestimmten Zeitpunkt ein sehr hoher Pegel einstellt. Er ist relativ zu den Pegeln in angeschlossenen Symbolschwämmen so hoch, daß der Gedanke von der 5 in der Reizflut des Gehirns vordringlich wird. Viele Symbolschwämme werden ständig mit Pegeln beaufschlagt. Nur die Symbole mit relativ (stufenlos sich einstellenden) hohen Pegeln treten in Aktion, weil sie sich durchsetzen im Reizgewitter. Entsprechend der Verschaltung dieses Symbolschwammes in einem Symbolwerk tritt auch das Symbolwerk in Aktion, wenn es durch weitere Symbole mit hohen Pegeln befeuert wird.
Der Gedanke von einer Zahl 5 steigt kurz in uns auf und verschwindet wieder. Er kann stärker oder weniger stark in uns wirken. Ein physisch und damit auch logisch nicht abgegrenztes Muster von Knoten hat einen besonders angeregten Zustand und gibt diesen weiter an die angeschlossenen Symboleschwämme. Das Symbol 5 als Begriff gibt es also nie ganz abgegrenzt aus dem begrifflichen Kontext, ist auch nicht absolut eindeutig, ist nie statisch sondern nur kurzzeitig - möglicherweise allerdings in ständiger Wiederholung - bewußt. Der Symbolschwamm kann im Laufe der Zeit verkümmern und damit das Symbol an Bedeutung verlieren. Die Vernetzung kann sich durch ständiges Verkümmern und Stärken neu ordnen und andere toplogische Gestalt annehmen. Damit kann auch das Symbol eine andere Bedeutung erhalten.
Gerade bei einer so eindeutigen Angelegenheit wie der Zahl 5 sollten hier Zweifel für die obige, ach zu schön klingende Erklärung erlaubt sein. Wir benutzen die Zahl 5 doch sehr klar für noch klarere Rechenregeln. Ihre Bedeutung ist eindeutig, so eindeutig, daß man keinen Gedanken für eine Diskussion verschwendet, ob es die 5 gibt oder nicht. Besonders absurd wird das Ganze, wenn man sich vorstellen will, es gäbe "ein bißchen 5" oder eher "etwas mehr 5" bis zu "ganz besonders viel 5". Dazu ist es zweckmäßig, sich die Entstehung eines Zahlensymbols vor Augen zu halten:
Die 5 war ja nicht schon immer in unserer Vorstellungswelt. Sie ist ein Symbol für ein Merkmal "Menge" oder besser noch "Vielheit", denn der Begriff Menge wird auch für nicht abzählbare Dinge wie zum Beispiel Schüttgüter oder Energie benutzt. In Bezug auf diese Vielheit gibt es unzählige Beispiele in der Natur, wo ein Mitschwingen dieses Vielheitssymbols provoziert wird. Vier Beine, fünf Finger, zwei Augen begegnen dem Menschen seit Urzeiten jeden Tag und trotzdem ist das Symbol nicht aus sich heraus erklärbar (selbstevident), sondern nur anhand von den vielen Beispielen.
Seine immense Bedeutung hat die Zahl als Mengen- und Vielheitssymbol wohl erst durch die Notwendigkeit des gerechten Teilens erhalten. Es leuchtet ein, daß eine unscharfe Vorstellung von Viel und Wenig in den ersten soziologischen Gruppen der Menschheit (Sippe, Stamm) sofort zu Streitigkeiten und damit zur Gefahr für den Erhalt dieser Überlebensgemeinschaft werden mußte. Es entstand ein für jedes Individuum nachvollziehbarer Verteilungsritus von Lebensmitteln und anderer Ressoursen, wobei die Notwendigkeiten des Einzelnen an der Funktion der ganzen Gruppe gemessen wurden. Die Fertigkeiten dieser Menschen brachten bereits gleichartige Produkte und ähnliche Mengen (identisches Trinkgefäß, Teigballen gleicher Größe,weil die Kugeln sich dichter im Ofen packen ließen, bzw. gleich große Brote) hervor. In der Natur gab es allerdings schon immer abzählbare Mengen von Nüssen, Beeren etc. Auf die Entstehungsgeschichte von Symbolen kommen wir aber - hieran anknüpfend - noch einmal zurück.
Bei jedem Beispiel für eine abzählbare Menge wird diese Anzahl von Fingern, Beinen etc. zu einer Eigenschaft des Ganzen, das auch wieder ein Symbol bildet. Vier Beine gehören nur zu wenigen Tieren. Zwei Augen haben sehr viele Lebewesen. Wenn uns jemand ein Lebewesen umschreibt, schwingen all die Symbole aus der Beschreibung in unserem Gehirn mit. Und selbst wenn etwas ausgelassen wird, kann ein bestimmtes Symbol so stark angeregt werden, daß wir eine starke Kongruenz mit einem ganz bestimmten Symbol spüren. Unserer "Erkenntnis" bei der Suche entspricht die ausreichend starke Erregung eines Symboles in uns. Wir brauchen allerdings auch noch etwas für Erkenntnis genauso Wichtiges, nämlich die Bewertung der Umwelt. Bei einem Frage- und Antwortspiel wäre das die Bestätigung durch den Fragenden - "Jawohl, das ist es" -, denn das Langzeitverhalten unserer Verbindungen wird davon beeinflußt (Gewöhnung, Lernen).
Das gemeinsame, leichte Anregen von Symbolschwämmen, die alle mit einem bestimmten Symbolschwamm verschaltet sind, bewirkt in diesem Einen eine starke Erregung und vermittelt für uns die Idee von Etwas. Je mehr Symbolschwämme daran beteiligt sind, desto deutlicher tritt diese Idee zum Vorschein. Die unscheinbaren Ahnungen verdichten sich zu einer Gewißheit, das Reizgewitter wird in diesem Symbolschwamm fokussiert. Das konkret zu identifizierende Lebewesen als Beispiel für einen Symbolschwamm benötigt also Verbindungen mit abstrakter Bedeutung, wie hier die Anzahl der Beine. Es gibt keine Erkenntnis greifbarer Dinge ohne abstrakte Symbole. Sie bilden sich durch das neuronale Lernen, das Training mit Sinneseindrücken, wobei immer wieder das Gleichartige zu abstrakten Symbolschwämmen verfestigt wird. Das Unterschiedliche wird durch Neuordnung in passende Symbolstrukturen möglichst gering gehalten. Damit wird wenig Verschaltungsaufwand, Energieaufwand und Schaltzeit zur Anregung eines Symbols benötigt. Eine Kuh ohne das abstrakte Symbol für 4 kann eben nicht umfassend gedacht werden. Sie hat nicht viele oder wenige sondern 4 Beine, wie die Kinder aber noch lernen müssen.
Das Darstellen einer Menge als Schriftzeichen verdeckt den unsicheren Hintergrund unseres Mengenbegriffes. Der Übergang von den Beispielen für abzählbare Mengen zu den Zahlen erfolgt über abzählbare, sehr gleich aussehende, begreifbare und leicht in harmonischen Bildmustern gruppierbare Objekte. Das können wertlose Exemplare wie Stäbchen, Kugeln oder Scheiben aus Ton, Holz usw. sein. Geldmünzen, Zigaretten oder andere Währungen als Tauschmittel und Wertspeicher haben aber auch die Eigenschaft, daß sich mit ihnen leicht Mengensymbole gruppieren lassen. Der Abakus zeigt bereits deutlich die Rechenfunktion durch Gruppierung der Holzperlen in Muster, die symbolische Bedeutung für gedachte, abzählbare Mengen erhalten. Die Perle oben hat eine fünffache Wertigkeit gegenüber einer Perle unten. Das bildhafte Perlenmuster "spricht". Ihm entspricht eine Menge als Zusammensetzung aus Einzelmustern mit bestimmten Verknüpfungsvorschriften. Auch die Zahl ist nur deshalb so klar und abgesetzt von den ursprünglichen Mengenbeispielen, weil jetzt mit Mustern gespielt wird. Das Symbol dient selbst als neues Objekt der Anschauung und Begreifbarkeit. Die Harmonie der neuen Muster, in die man Zahlen oder Perlen bringen kann, ist dem Merkmal Menge bereits entrückt. Rechnen mit Zahlen sind also Verknüpfungen mit abstrakten Elementen, deren Bedeutung erst nach Abschluß der Rechnung durch Überführung des Ergebniselementes in die Welt der Menge wieder konkret wird.
6. Entwicklungsgeschichte des Netzes
Bis hierher haben wir Symbole als Reizmuster innerhalb eines gedachten Trägers, dem neuronalen Netz oder "Symbolschwamm" betrachtet. Symbolschwämme sind in ihrer Dynamik von der Vorgeschichte des Reizgewitters abhängig, weil sich das Netz verändert, indem sich im Laufe der Zeit eine Verstärkung von Verbindungen durch größere Reizflut bzw. Schwächung durch abnehmende Reize ausbildet. Ständig leben neue Symbole (mit ihren Symbolschwämmen; werden eingeprägt in das Netz) auf. Ständig verkümmern Verbindungen, und Symbole werden vergessen, verlernt. So gesehen können besonders ausgeprägte Teilnetze bzw. Symbolschwämme als langfristig programmierbare Symbolmaschinen eines lebenden Organismus gedacht werden. Die Veränderungen des Netzes, das neuronale Lernen, ist also ein Bestandteil der Entstehungsgeschichte von Symbolen. Der Prozess ist so schnell, daß wir ihn am lebenden Gehirn beobachten können müßten.
Darüber hinaus sollte aber auch die evolutionäre Entwicklung des Gehirns und das Lernen der Natur durch Mutation und Selektion hinzugezogen werden. Nur dann ist die Erklärung umfassend und für philosophische Diskussionen greifbar.
Im Prinzip muß man nur den uns bekannten Evolutionsprozess des leiblichen Bereiches, daß nämlich nur die Organismen überlebten, welche den Bedingungen der Natur angepaßte Eigenschaften aufwiesen oder annahmen, um den Bereich der Steuerung dieses Leibes ergänzen. Mit der umgebenden Natur als Störgröße stellen der motorische Leib (Stellgröße), die Sinne (Regelgröße) und Gehirn (Regler) einen Regelkreis dar. Mit der sich wandelnden Natur ändern sich auch ständig die Führungsgrößen. Also ist eine ständige Anpassung (Adaption) nötig.
Da die Theorie von der Funktion der Symbolschwämme das Gehirn als Anpassungsmechanismus erklärt (Wachsen und Verkümmern der Verbindungen) und erst dem Signalfluß einer relativ zur Veränderungsgeschwindigkeit der neuronalen Verbindungen sehr kleinen Zeitspanne (quasi stationärer Zustand) dem oben konstruierten Regler zugeschrieben wird, sind drei Dynamiken erfaßt: Regelung für kurzfristige Verhaltensweisen, Adaption für das mittelfristige Überleben. Mutation und Selektion entsprechen der evolutionären genealogischen Adaption, dem Lernen über viele Generationen hinweg.
Die richtigen und falschen Handlungen des Menschen wirken auf die Natur zurück. Die Menschheitsgeschichte zeigt viele Beispiele, wo Anpassung nottat, weil nicht die Natur sich veränderte, sondern weil der Mensch durch traditionelle Lebensweisen seine eigen Lebensgrundlage zerstörte und neue Methoden anwenden mußte (Monokultur/Pflanzenanbau, Pest/Hygiene, Müll/industrielle Produktion, Massenrodung) oder zum Beispiel die zunächst unbefangene Nutzung der Naturkräfte modifizieren mußte, damit Gefahren eingedämmt wurden (offenes Feuer/Kamin, Staudämme/Kugelkalottenform, Kessel/Überdruckventil). Es ist eine hohe Stufe der Adaption (Intelligenz), wenn solche Ursache- Wirkung- Systeme heute zum Teil vorausschauend erkannt werden. (Daß dann eine Erkenntnis bereits zum Einleiten von Gegenmaßnahmen führt, bevor es zu einer Katastrophe kommt, ist allerdings nur zu erklären, wenn man den Erkenntniswandel in den Instanzen der Macht bzw. deren Vertreter im Laufe der Zeit beobachtet.)
Die Anzahl der Verhaltensmöglichkeiten, die ein Organismus an den Tag legen kann, ist eine winzig kleine Teilmenge der Möglichkeiten, alle eingehenden Reizmuster der vorhandenen Sensoren mit motorischen oder sonstigen Ausgängen zu verknüpfen. Es überleben nur Organismen, die zufällig (!) die richtige neuronale Verdrahtung aufweisen und somit zunächst die Symbolschwämme, die zu der Natur angepaßten Überlebensreaktionen führen. Der Ansatz ist statistisch zu sehen: Im Überlebenskampf können auch gut ausgerüstete Organismen gefressen werden, weil zufällig diese eine Variante der Reizmusterverarbeitung nicht zu einer Überlebenshandlung führt. Zum Beispiel kann das Leben schneller zuschlagen, als der Organismus reagiert, weil die Sinne zu spät Informationen liefern. Insgesamt ist die Überlebenswahrscheinlichkeit für Organismen mit zu Naturprozessen angepaßteren Verdrahtung größer.
Es gilt also der Darwinismus auch für die Symbolschwämme. Ihre langfristige Ausbildung geschieht durch Mutation und Selektion. Jeder Fehler im Gesamtverhalten des Organismus, sei es durch
- unfähige Sensoren,
- unfähige Motoren,
- unfähige Verdrahtungen bzw. Symbolschwämme,
führt zu einer geringeren Überlebenswahrscheinlichkeit. Wenn die Evolutionstheorie stimmt, daß die heute lebenden Spezies durch die Natur auserwählt wurden, weil sie der sich wandelnden Natur angepaßt waren, so ist auch das Gehirn mit allen seinen Fähigkeiten das auserwählte Steuerungssystem des erfolgreich überlebenden Organismus' in vielen Biotopen der Erde.
Die gesamte Entwicklung des Gehirns und der ererbten Fähigkeiten kann also als Programmierung durch die Natur verstanden werden. Es ist eine langfristige Programmierung über viele Geburten und Tode der Generationen von Einzelindividuen hinweg.
Die Basis der Gehirnentwicklung eines Menschen wird durch die Fortpflanzung und embryonale Entwicklung geschaffen. Das Gehirn und viele damit verknüpfte Subsysteme wie zum Beispiel
- das Verarbeitungssystem zwischen Retina und Großhirn,
- die motorischen Reflexe (Lidschlag, Darmtätigkeit, Herz),
- die Drüsenreflexe (Magensäure, Adrenalin, Insulin, ...) werden durch Vererbung in den ersten Lebensphasen reproduziert, sind dann im Wachstum weitgehend abgeschlossen und sofort funktionsfähig.
Viele höhere neuronale Verknüpfungen wachsen wahrscheinlich nur, wenn in den entsprechenden Lebensphasen entsprechende Reize eingehen. Bei Katzenbabys hat man nachgewiesen, daß tatsächlich nicht die richtigen Vernetzungen im Sehsystem wuchsen, wenn keine Reizmuster vorhanden waren. Die wesentlichen Verdrahtungen des Sehsystems, also die Grundlagen der Erkenntnis von visuellen Strukturen sind insofern "a priori" vorhanden, als eine Masse verbindungsfähiger Nervenzellen bei der Geburt (über die Entwicklung davor philosophieren wir später) vorhanden ist. Sie sind insofern "a posteriori" als erst die ersten visuellen Eindrücke brauchbare Verbindungen und damit auch ein funktionsfähiges Netz bilden.
Die Entwicklung der menschlichen Sprache, die Erkenntnis von Form, Farbe, Lage usw. sind typische Entwicklungen, die maßgeblich im Kindesalter ablaufen und dort geprägt werden. Die Fähigkeit, Gleiches zusammenzufassen und Ungleiches als Unterscheidungsmerkmal für ein Element der Klasse anderer Eigenschaft zu nutzen, entspricht dem Vermögen des abstrakten Denkens und kann bereits in vollem Umfang der Entwicklung des Kindes zugesprochen werden.
Da Tiere zum Teil bessere und/oder schnellere Erkenntnisfähigkeiten aufweisen (z.B.: Tauben bei zweidimensionalen Mustern), muß man annehmen, daß dort leistungsfähigere neuronale Strukturen vorhanden sind. Dazu gehört sowohl die von der Evolution vorgegebene Masse mit verschaltungsfähigen Neuronen, als auch der Lernprozeß. Auch Maschinen weisen erstaunliche Leistungen auf dem Gebiet der Mustererkennung auf. Man kann also die Intelligenz des Menschen nicht in den Vorgaben durch Vererbung und Kindesentwicklung allein suchen. Wir Menschen haben mit der Großhirnrinde eine Masse von Nervenzellen, die hervorragend zur Bildung und Veränderung von Symbolen bzw. Symbolschwämmen geeignet sind. Wie das im Prinzip funktioniert, wurde bereits erklärt. Wie aber entwickelt ein Kind Symbole?
Wir driften jetzt ab in die Entwicklungsgeschichte menschlicher Intelligenz - der Faden wird später wieder aufgenommen -, bevor ganz wesentliche Ansichten zur Entstehungsgeschichte des Nervensystems diskutiert wurden. Gestalten wir ein Gedankenexperiment mit Lebewesen, denen wir niedere Verhaltensweisen zuschreiben:
Zwei Pantoffeltierchen überleben durch angepaßtes Verhalten zur Umwelt. Dazu gehört, daß sie sich bewegen, sobald es ihnen zu kalt oder zu sauer wird im Wasser, bis sich die Situation gebessert hat oder sie vor Erschöpfung eingehen. Wenn sie ein solches Verhalten aufweisen, werden sie im Durchschnitt besser überleben, als unangepaßte Tierchen, weil die Wahrscheinlichkeit für angepaßte Tierchen größer ist, daß die benötigten Lebensbedingungen wiederhergestellt werden. Im Laufe der Evolution entsteht also ein solches angeborenes Verhalten (evolutionäre Programmierung), das für außenstehende Beobachter den Eindruck erweckt, als suche das Tierchen nach einem passenden Biotop. Natürlich ist das Tierchen durch das Programm geprägt, seine Suche ist ihm in keiner Weise bewußt. Allerdings wird das Tierchen den jeweiligen Zustand auch "nervlich" registrieren (müssen) - als Ausprägung der Signalverarbeitung im Nervensystem.
Nennen wir die oben beschriebene Reizung von Außen "Selbstreizung nullter Ordnung". Der Terminus soll erst einmal so stehen bleiben. Wir greifen ihn später wieder auf.
Man könnte sich aber auch vorstellen (erfundene Konstellation), daß sich die Pantoffeltierchen aneinanderdrücken, mit der Wirkung, daß nun eine Seite durch den Körper des anderen Tierchens abgedeckt und geschützt oder gewärmt würde. Wenn solches Verhalten durch Überleben belohnt wird, überleben zwangsläufig viel mehr Tierchen, die ein solches Verhalten zeigen. Diese müssen aber auf das Zueinanderfinden spezialisiert sein: Die vielen Fühler müssen dafür sensibilisiert werden, daß der Unterschied zwischen einem glatten Objekt und einem "haarigen, klebrigen" Objekt sensorisch faßbar wird. Außerdem aber muß das Nervensystem so verschaltet werden, daß ein Tierchen mit der Bewegung aufhört, sobald etwas haariges detektiert wird. Beides (sensorische und steuerungstechnische Fähigkeiten) muß die Natur "programmieren". Und sie kann das nur - und tut es -, indem die Tiere ohne diese Eigenschaften aussortiert werden. Bis hierher sind folgende Schlußfolgerungen wesentlich:
- Die Natur ist ein hochkomplexer Prozeß, der selbst läuft und seine Elemente gemäß statistischer Erklärungsweise entsprechend zwangsläufigen Ursache- Wirkungsketten formt. Das Element entwickelt sich zwangsläufig aus der Gesamtdynamik, die keinerlei Zukunft kennt, sondern sich durch und mit den Zuständen und Zwängen der Gegenwart verändert.
- Sowohl die Anpassung der Sensoren (hier Fühler) als auch der Verschaltung im Nervensystem entstehen durch Selektionsmechanismen über viele Generationen hinweg. Die Verhaltensweisen sind zwangsläufig entstanden, und wirken in jedem Exemplar zwangsläufig.
- Also ist das artspezifische Verhalten (hier: Stillhalten bei Kontakt) in keiner Weise als kreatives oder intelligentes Verhalten sondern als programmiertes, mechanisches Muster anzusehen. Das Tierchen erkennt das andere nicht als Pantoffeltierchen sondern reagiert nur auf etwas haariges. Und es sucht auch nicht nach anderen Tierchen, sondern es stellt automatisch jede Bewegung bei Kontakt ein!
- Es handelt sich um eine "Selbstreizung zweiter Ordnung", weil ein Exemplar einer Spezies mit einem anderen einen Wirkungskreis bildet, die Vorstufe zu abgestimmtem Verhalten durch höhere kommunikative Verhaltensmuster. Wir kommen später auf diesen Begriff zurück.
7. Evolutionäre Entwicklung der Symbole
Zumindest bei unbewußtem Verhalten des Menschen geht man von angeborenem Verhalten aus, obwohl auch ein Reflex durchaus komplexe Schaltungen benötigen kann. Bei kognitiven Fähigkeiten, sehen wir den Evolutionsprozeß nicht so sehr als den Zwangsablauf. Erkennen und Logik, Phantasie usw. sollte doch etwas aus sich Gewachsenes, einzigartig Menschliches sein. Beobachtet man jedoch einige Phasen der Menschheitsgeschichte und wertet die Gesamtentwicklung für die Entwicklung der Symbole, ist die Geschichte unserer Begriffe auch als natürlicher bzw. zwangsläufiger Prozeß anzusehen.
Zuvor jedoch muß noch von der fundamentalen Bedeutung der "Selbstreizung erster Ordnung" gesprochen werden:
Läßt man den Blick über einige Arten "primitiver" Lebewesen schweifen (Floh, Einzeller, Schnecke, Hummer), so fällt auf, daß sie
- keine oder nur ganz eingeschränkte Möglichkeiten haben, mit ihren Motoren sich selbst bzw. eigene Sensoren zu reizen.
- keinen oder nur ganz primitive Wirkungskreise mit anderen Artgenossen bilden (Selbstreizung zweiter Ordnung).
Andere Arten (Ameise, Biene) haben hochkomplexe Wirkungskreise untereinander, sind aber auch durch ihre Anatomie zu einer Selbstreizung im eigentlichen Sinne (erster Ordnung) kaum in der Lage. Man könnte höchstens annehmen, daß sie ihre Fühler gegeneinander reiben, diese gegenseitig spüren und dabei sogar sehen können.
Betrachten wir dagegen Tiere mit weitreichenden Sinnesorganen und flexiblen motorischen Fähigkeiten und den Menschen, so können diese sich in vielerlei Weise selbst reizen und tun das auch. Katzen lecken sich, Hunde kratzen sich, Elefanten duschen sich mit dem eigenen Rüssel und menschliche Säuglinge beißen sich in die eigenen Hände oder greifen nach ihren Füßen.
Es ist wohl unbestritten, daß die Kindesentwicklung elementare Erfahrungen durch die Beschäftigung mit sich selbst macht. Hier wird erkannt, daß der Biß in die eigenen Gliedmaßen eine Rückkopplung zwischen motorischer Aktion und sensorischen Signalen verursacht.
Diese Rückkoplung verschafft dem Kind (bzw. Jungen bei Tieren) einen Teil der Ich-Erfahrung, der körperlichen und gefühlsmäßigen Abgrenzung zur Außenwelt. Reicht mein Arm zu den Füßen ? Wenn meine Hand den Fuß zwickt tut es da gleichzeitig weh. Wenn mein Mund am Daumen lutscht, ist der Daumen schön warm. Das Kind muß den Zusammenhang erst lernen. Zu Anfang kann es den Eingangsreiz noch gar nicht seiner eigenen Handlung zuordnen.
Zu dieser Reizart kommt das Spiel mit den Dingen seiner Umgebung (Reiz Nullter Ordnung). Komme ich an den Ball mit meinem Arm heran ? Das kann meine Hand formen, zerreißen, umschmeißen, zerschmettern, usw. Der Ball rollt nach einer Berührung, und er rollt von mir weg. Ich spüre ihne kurz, und zwar
- als Materialreiz (Temeperatur, Rauheit, …)
- als Kraftreiz (Muskelspannung zur Überwindung der Trägheit).
Klotz nicht. Die Haut gehör zu mir, weil sie immer mitkommt, wenn ich mich bewege und mein Zwicken spürt. Was ist größer als ich ? Bin ich schneller als die gejagte Taube ?
Die Reizart dritter Ordnung ist zunächst die unmittelbare Kommunikation mit der Mutter.
… Ende (vorläufig ?)
KRITIK und ergänzende Betrachtung, angeregt von
Die Rechenmaschine und das Gehirn / John von Neumann / 1956 ISBN 3-486-45224-X
Diese Abhandlung ist so alt wie ich selbst und erfasst evident nicht die moderne Entwicklung der EDV. Dennoch ergeben sich auch heute für die Philosophie überraschende Wendungen, Perspektiven und Erkenntnisse:
„Jede chemische Veränderung wird durch eine Veränderung der zwischenmolekularen Kräfte, die ihrerseits veränderte relative Positionen der Moleküle zur Folge hat, verursacht. Ferner beeinflusst jede molekulare mechanische Veränderung die elektrischen Eigenschaften des betreffenden Moleküls, woraus sich andere elektrische Spannungen ergeben. Fassen wir zusammen: Im üblichen (makroskopischen) Maßstab stellen elektrische , chemische und mechanische Prozesse Alternativen dar, zwischen denen strenge Unterscheidungen aufrecht erhalten werden können. Im Molekularbereich verschmelzen diese Effekte mehr oder weniger. …“ [S.46]
v.N. beschreibt die „Dreifaltigkeit“ von Begriffen für die Vorgänge an der Synapse. Das Problem aber ist ein Paradoxon, das auch in den beiden letzten seiner Sätze zum Ausdruck kommt: Wir können uns ein Symbol vorstellen, das einem Paradigma entspricht und stark als „Wahrheit“ wirkt. Tauchen mehrere solcher Wahrheiten gleichzeitig und gleichwertig auf, ist ein beobachteter Prozess oder Gegenstand „weder noch“ und „sowohl als auch“ elektrisch, mechanisch, chemisch. Die Anfänge der Chemie waren im Übrigen „physikalisch“ (siehe Kirchhoff, Hans-Werner: Vorstellungen vom Atom 1800-1934 _Von Dalton bis Heisenberg, deubner-Köln). Die RNA-Synthese in der Zelle beruht z.B. auf den Sequenzen an Aminosäuren, deren Moleküle durch elektrische Kräfte verbunden sind und deren Ketten komplexe mechanische Gebilde annehmen, um höhere Funktionen der Zelle zu übernehmen. Handelt es sich also bei der RNA(-Prozess?) um Energie, Stoff oder Information? Wieder „Dreifaltigkeit“ , aber einer der Begriffe, die getrennt gedacht werden können aber dem Prozess und Gegenstand umfassend nur in gemeinsamer Betrachtung begreifbar machen. Wir haben noch nicht den Dualismus von Teilchen und Welle verstanden, weil hier wieder zwei Paradigmen aufeinanderprallen. Rechnerisch sind sie ineinander überführbar („sowohl als auch“), gedanklich knirscht es gewaltig („weder noch“).
Gelernte Symbole helfen für die Unterscheidung, …. von Begriffen. Und die sind Grundlage unserer Erkenntnis bzw. Wahrheit. Die entsprechenden Symbolschwämme geraten hier in Konflikt und treiben Physiker und Philosophen in den Wahnsinn. Denn ein Paradox ist „Unsinn“ (ohne Sinn). Da hilft nur Humor, Ironie und Sarkasmus.
„Die Verlustleistung des menschlichen Zentralnervensystems (Gehirn) beträgt etwa 10 Watt. Da es sich hierbei um die Größenordnung von 1010 Neuronen handelt, bedeutet das eine Verlustleistung von 10-9 Watt je Neuron.“ [S.52]
v.N. vergleicht die „Rechenleistung“ des Gehirns anhand der Raumausnutzung, Schaltgeschwindigkeit und Energieverbrauch. Das setzt natürlich voraus, dass ein Neuron wie ein Schalter funktioniert, was v.N. bereits selbst zuvor verworfen hat. Das hat also eigentlich keine Bedeutung. Stand heute (2024) hat ein AMD Ryzen 7 7800X3D übrigens 6,5*109 Transistoren (auf 8 Kerne verteilt) bei 120 Watt, was 1,8*10-8 Watt pro Transistor bedeutet und inzwischen also dem v.N.-Vergleich standhalten könnte.
„Von einem gut organisierten, großen natürlichen Automaten (wie dem menschlichen Nervensystem) kann folglich erwartet werden, dass er soviel wie möglich gleichzeitig aufnimmt und gleichzeitig verarbeitet, wohingegen ein gut organisierter künstlicher Automat (wie eine große, moderne Rechenmaschine) eher in Serie arbeiten wird.“ [S.53]
v.N. überlegt die grundsätzlichen Unterschiede eines Einsatzes paralleler und serieller Informationsverarbeitungsprozesse. Allerdings würdigt er der multiparallelen Verarbeitung mit Schwellwerten nur oberflächliche Beachtung [S.56ff] (siehe meine Abhandlung oben) , nennt aber den proportionalen („monopol steigende/ fallende Funktion“) Charakter, der „digital“ durch eine „Pulsfrequenz“ von 50 bis 200 Hz analogisiert verstanden werden kann. [S.73]
So erkennt er richtig, bei der Verarbeitung der Retinaeindrücke „könnte es sich natürlich um Reaktionen komplizierterer Systeme von Neuronen und nicht um die eines einzelnen Neurons handeln.“ [S.58] Außerdem nennt er dort richtig die mögliche Kodierung von „Änderungen“ der rezipierten Signale und nicht der eigentlichen Größe. (Logarithmische Verzerrungen nennt er nicht.)
Bei Betrachtung der „Genauigkeit“ (Zahlentiefe, Frequenzdarstellung) und „Zuverlässigkeit“ (Fehler-Fortpflanzung, Statistik) stellt er wieder die Rechenmaschine gegenüber und schaut auf „arithmetische“ Operationen und die dazugehörige „Struktur“ im Gehirn. [S.74ff]. Gelangt aber nach UMschreibung seines Modells doch dazu aufzugeben: „Es sind hier also logische Strukturen vorhanden, die von den uns normalerweise in Logik und Mathematik bekannten verschieden sind.“ Er versucht seinen Rechenmaschinenvergleich noch zu retten, indem er von „sekundärer“ (Programmier-)Sprache des Zentralnervensystems spekuliert.
Hochinteressant ist die Thematisierung des „Speichers“ im Gehirn. [S.61ff] , die er mit der Theorie der Zahlendarstellung in Binärkode beginnt und zu 2,8*1020 bit Kapazität aus 60 Jahren lernenden Impressionen hochrechnet, wenn man Vergessen ausklammert. Er spekuliert zum Vergessen:
„Ein Axon könnte durch dauernden Nichtgebrauch für eine spätere Verwendung untauglich werden.“
und weitere Möglichkeiten. [S.64] Auf derselben Seite bezeichnet er die Gene als Speicher, hochinteressant! Also nicht nur Energie, Stoff, Information, jetzt auch „Speicher“1. Und die RNA-Replikation ist „Rechnen“??? Mit dem Vergleich der Neuronen und Flip-Flops verrennt er sich vollends bzw. versucht keine andere neue Sichtweise. Dabei ist doch der Zustand der kompletten Nerven“verdrahtung“ mit den Empfindlichkeiten und Verstärkungsfaktoren der Speicher selbst! Die Datenverarbeitung bildet mit dem Datenspeicher eine Funktionseinheit. Schickt man Energie (Signale) in den Speicher, werden diese verarbeitet und beeinflussen diesen Speicher durch Modifikation (Wiederholung eines Signals bzw. Signalbündels verstärkt die Durchleitungsempfindlichkeit für dieses Signal/-Bündels).
v.N. führt aus, „dass das Nervensystem, betrachtet man es als Automaten, unbedingt sowohl einen arithmetischen als auch einen logischen Teil besitzen muss, [S.71ff]…und dass wir es wieder mit einer Rechenmaschine im eigentlichen Sinne zu tun haben, und dass eine Diskussion in der Terminologie der in der Rechenmaschinentheorie gebräuchlichen Begriffe erlaubt ist.“
Eben genau nicht! (s.o.) Interessanterweise philosophiert er nicht über den Speicher , der nach ihm benannt ist, nämlich einen , der Programm und Daten speichert, wobei Daten nicht Programm sind und aber manchmal doch als solche fungieren…. (sowohl als auch / weder noch … s.o.)
*1: Vergleiche Konstruktionsystematik nach Abstrahierung bei "Karlheinz Roth: Konstruieren mit Konstruktionskatalogen", welche nur kennt Stoff, Energie, Information mit den Interaktionen Speichern, Leiten, Umwandeln.
Nachwort
Hiernach müssten wir uns dringend über „Bewusstsein“ und „Wille“ (Willensbildung) unterhalten 😊